Einleitung:
Betrachte was Du sein könntest...
Auf die Küstenstraße fiel Sonnenschein, eine sanfte Brise wehte salzige Meeresluft heran und der Tag war so schön wie er nur sein konnte.
Eine waldreiche Stelle der Straße wurde in diesem Moment von einer kleinen Gruppe Handelsreisender befahren. Die Männer und Frauen lachten und riefen sich gegenseitig Scherze zu, während ihre Wagen langsam und
gemütlich vorwärts rollten. Sildara war vom Wagen ihrer Eltern geklettert und tollte am Wegesrand entlang. Ihre Mutter richtete sich auf und rief ihr zu: ”Sildara! Pass auf, dass du nicht zu dicht an den Abhang
herangehst! Sei bitte wenigstens einmal in deinem Leben vorsichtig!” Sildara sah zu ihrer Mutter auf und sagte mit einem Tonfall ”Ja, Mama.”, der durchaus bedeuten konnte, dass sie überhaupt nicht zugehört hatte.
Die Welt ist noch groß für ein achtjähriges Mädchen und gerade hier an diesem speziellen Wegesrand gab es so viele interessante Dinge zu entdecken: unbekannte Blumen, merkwürdige Insekten und einige der
herumliegenden hübsch geformten Steine würden wahrscheinlich bis heute Abend in ihrer kleinen Schatzkiste auf dem Wagen landen. In diesem Moment ritt eine der Wachen der Karawane am Wagen der Mutter vorbei. Etwas
unwillig versuchte Sildaras Mutter ihre jetzt hinter dem Pferd des Wächters verborgene Tochter wieder zu entdecken. Als sie sie wieder sah, sagte sie mit etwas mehr Nachdruck: ”Und bitte bringe nicht wieder jedes
Tier mit das du findest! Du weißt, dass dein Va...” Sildara schaute äußerlich brav und innerlich gar nicht zuhörend zu ihrer Mutter, als aus dem Nichts heraus ein Pfeil in den Rücken des Wächters raste. Mit einem
erschrockenem Schrei brach ihre Mutter ab. Der Körper des Wächters wurde nach vorne gerissen und er begrub die zu Tode erschrockene Mutter halb unter sich. Der nächste Pfeil traf Sildaras Mutter... Vor Schreck
und Entsetzen prallte Sildara zurück - ein Schritt zu weit. Sie hatte zu dicht am Rand des Weges gestanden. Mit einem spitzen Aufschrei segelte sie heftig mit ihren Ärmchen rudernd die Böschung hinab. Weitere
Pfeile suchten und fanden ihre Opfer unter den ahnungslosen Handelsreisenden. Die wenigen angeheuerten Wachen rissen fluchend ihre Pferde herum und sprangen aus ihren Sätteln, um in Deckung zu gehen. Überall war das
reinste Chaos, Menschen starben während sie Schutz suchten unter, in oder neben den Wagen. Aus dem nahe gelegenen Wald sprangen grobschlächtige Gestalten mit gezückten Schwertern, Äxten und anderen Waffen.
Irgend jemand schrie ”Orks! Das sind Or... arrrgggh!” Der Schrei verstummte mit einem grässlich gurgelnden Laut. Die noch lebenden Wachen warfen sich der wilden Horde entgegen, einem gelang es, sich unter dem
wuchtigen Hieb eines Orks hindurch zu ducken und seinerseits einen tödlichen Hieb in den Bauch seines Gegners zu platzieren. Leider hatte er wenig Zeit seinen Erfolg zu genießen, wurde er doch sogleich von drei
weiteren bedrängt. Verzweifelt wehrte er Hieb um Hieb ab, seine Schwertkunst war zwar nicht besonders, aber seine Gegner waren einfach noch schlechter. Immerhin schaffte er es sogar, einem weiteren Ork eine Wunde
im Oberschenkel beizubringen und einem anderen den Arm aufschlitzen. Gerade als er begann ein wenig Hoffnung zu fassen, er könnte den Kampf überleben, traf ihn ein Pfeil in den Rücken. Noch im Sterben riss er sein
Schwert hoch und nutzte den eigenen Schwung und den Impuls des Pfeils aus, um auf seinen vordersten Gegner zu stürzen. Dass er sich dabei auch noch dessen Schwert in den Bauch rammte spielte längst keine Rolle mehr.
Mit brechenden Augen starrte er in die sich ebenfalls verdunkelnden Augen des Orks. Beide stürzten sich gegenseitig aufspießend zu Boden. An anderer Stelle warf sich ein Kaufmann vor einem Ork in den Staub.
”Gnade! Bitte.. lasst mich leben... ich gebe euch was ihr wollt... tötet mich nicht... Bitte...” Winselnd wand sich der Mann im Staub. ”Was geben mir was ich nicht kann nehmen mir?” Der Ork grunzte verächtlich und
holte mit seiner Axt aus. ”Lösegeld!” kreischte der Mann. Die Axt sauste herab und verfehlte ihn so knapp das ein paar seiner Haare dran hängen blieben. Der Mann aber lag ohnmächtig am Boden und hörte erst mal nicht
mehr wie der Ork grunzte. ”Sein gute Idee!” Die Kämpfe flauten ab, die Wachen lagen alle tot herum und der vereinzelte und geringe Widerstand der Kaufleute wurde brutal gebrochen. Die Orks begannen mit den
Plünderungen und schafften die wenigen Überlebenden beiseite. Ein Ork näherte sich dem Wagen von Sildaras Familie. Als er hochzuklettern begann, rammte ihm plötzlich eine Hand ein Messer genau zwischen die
Augen. Der Ork fiel ohne einen Schrei auszustoßen zurück, aber etliche seiner Kumpanen hatten das Schauspiel verfolgt. Schreiend rannten sie auf den Mann zu. Dem war das Messer aus der Hand gerissen worden, als der
Ork damit zurückfiel. In seiner Not griff er nach einer herumliegenden Bratpfanne und fuchtelte damit vor seinem Gegnern herum. Diese heulten ob dieser Beleidigung auf und stürmten vorwärts. Dabei machte der
erste die Erfahrung, dass auch eine Bratpfanne eine wirkungsvolle Waffe sein kann, wenn sie aus erhöhter Position und von jemand Verzweifelten geschwungen wird. Während der erste heulend zu Boden ging, trat aus
dem Hintergrund der Anführer der Orks hervor. In der Hand hatte er eine kleine, gemein aussehende, schwarze Armbrust, und ohne auch nur zu zielen feuerte sie ab. Der Pfeil, der die Armbrust verließ, flog eine
physikalisch nicht mögliche Kurve und traf Sildaras Vater direkt ins Herz. ‚Eine verzauberte Armbrust...’ waren seine letzten Gedanken ehe es dunkel wurde und ‚Sildara...’ Wenig später brannten die Wagen, nachdem
alles Wertvolle entfernt worden war. Einige der Überlebenden waren von den anderen getrennt worden, da sie sich nach Auffassung der Orks nicht zu Sklaven eigneten. Sie wurden auf der Stelle getötet. Man wollte sich
nicht zu lange an diesem Ort aufhalten, da mit Patrouillen zu rechnen war.
Nach ein paar Stunden tauchte tatsächlich eine Gruppe berittener Soldaten am Ort des Überfalls auf und begann die Geschehnisse zu untersuchen. Ihr Anführer, der erfahrene Ritter Sir Galandria, blickte erschüttert
auf den Ort des Grauens. Er hatte schon so manche Schlacht geschlagen und ein Anblick wie dieser war ihm nicht fremd, entsetzte ihn aber immer wieder. Plötzlich keuchte einer seiner Männer die Böschung herauf und
trug etwas in seinen Armen. ”Herr, ich habe eine Überlebende!” Tatsächlich, in seinen Armen ruhte ein bewusstloses Kind. ”Heiler!” brüllte Galandria. ”Schnell!” Der Priester rannte herbei und kümmerte sich um
das Kind. ”Es muss die Böschung runtergefallen sein, Herr.” Galandria stimmte zu. ”Ein unglaublicher Glücksfall, für wahr. Gut gemacht!” Die Bemühungen des Heilers blieben nicht ohne Erfolg. Sildara begann sich
zu rühren und blickte kurz darauf in ein verschwommenes bärtiges Gesicht. ”Wahhh, Mutter...” An diesem Abend lag Sildara am Rande eines tröstlichen Lagerfeuers und starrte mit tränenden Augen hinauf in den
Nachthimmel. Ein Reiter kam ins provisorische Lage geritten. Er baute sich vor dem am Feuer sitzenden Galandria auf und berichtete. ”Sie sind entkommen, Herr. Über den Schwarzpass in die Berge, dorthin können wir
ihnen nicht folgen.” Galandria schaute kummervoll drein und entließ den Mann mit einem Nicken.
Sildara kroch aus ihrem Bett und schaffte es fast unbemerkt bis zum Feuer, ehe einer der Männer auf sie aufmerksam wurde und sie ergriff. ”Du musst dich wieder hinlegen Kleine.” Galandria stand auf und kam
herüber. Er kniete sich hin so das sein Gesicht fast auf einer Höhe mit dem von Sildara war. ”Es tut mir leid.”
Sildara sah ihm fest in die Augen und sagte mit erstaunlich kräftiger Stimme nur ein einziges Wort: ”Gerechtigkeit!” Es ist aber ohnehin nie die Lautstärke, welche das Interesse von höheren Wesen an Sterblichen
weckt, es ist stets die Inbrunst mit der gesprochen wird. Und so erschallte dieses einzige Wort wie mit einem Donnerschall durch Sphären weit jenseits deren der Menschen.
Eine noch ungeformte Wesenheit vernahm den Ruf und reagierte. Fühler streckten sich suchend aus... Galandria schaute voller Kummer auf das Mädchen. Er dachte zurück an einen jungen Mann, der vor langer Zeit vor
den rauchenden Trümmern einer Farm gestanden hatte. In den Augen vor ihm sah Galandria ein Spiegelbild des Feuers, das den Mann damals erfüllt hatte. Und für einen flüchtigen Moment meinte er sogar gesehen zu haben,
wie diese Augen golden aufblitzten als ob ein inneres Licht sie zu erfüllen schien. Der Moment verging und er schob die Beobachtung auf seine überreizte Phantasie. Er beschloss das Kind zu sich zu nehmen, sollte
sich kein anderer Familienangehöriger finden.
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